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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442736997
Sprache: Deutsch
Umfang: 316 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Ein nach dem Zweiten Weltkrieg geborener Sohn nutzt die Woche, die er im Haus seiner Eltern verbringt, um mehr über das Leben seiner Mutter während der Nazi-Zeit zu erfahren. Er liest ihre Briefe, spricht mit Freunden und Verwandten und gerät so immer tiefer hinein in die Geschichte einer mutigen und tapferen Frau, die in diesen Jahren ihre ersten beiden Kinder verlor. "Hecke" ist die Geschichte einer verstörenden Recherche und einer intensiven Suche des Nachgeborenen nach einer Sprache, mit deren Hilfe er schließlich auch seine eigene entdeckt und erzählt. Nach dem Debütroman "Fermer" erzählt Hanns-Josef Ortheil hier in deutlich autobiographischer Manier von den verborgenen Hintergründen seiner Kindheit.

Autorenportrait

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Leseprobe

MONTAGABEND Gestern abend habe ich meine Mutter zur Bahn gebracht, nun bin ich allein. Als sie mich am Telefon fragte, ob ich während ihrer Abwesenheit das Haus hüten wolle, habe ich sofort zugesagt. Es ist März, und an den Abenden hält sich die Wärme schon auf der kleinen Anhöhe, auf der das Haus mitten im Wald steht. Ich habe im Winter viel gearbeitet, die Ruhe hier wird mir guttun. So brauchte ich nicht lange zu überlegen. Im Büro hatte niemand etwas gegen meine Abwesenheit einzuwenden. Ich bin Architekt, aber ich liebe meinen Beruf nicht besonders. Meine Gedanken sind, wie man so sagt, oft woanders. Ich habe eine starke Neigung zur Musik, und wenn dies und das sich erfüllt hätte, wäre ich ein guter Pianist geworden. Aber es genügte mir nicht, ein mittelmäßiger Pianist unter tausenden zu sein. Ich war ehrgeizig, und als mich der Ehrgeiz aufzufressen begann, entschloß ich mich, einen Beruf zu wählen, in dem er nichts ausrichten konnte. Wahrhaftig, allmählich ist dieser Siegeswille erstickt. Das ist gut so. Ich bin recht bescheiden geworden. Ich lebe allein, die meisten Frauen langweilen mich. Sollte ich ihnen meine Gegenwart zumuten, die Gegenwart eines ruhelosen und schließlich doch nur mit sich selbst beschäftigten Einzelgängers, der zuviel gelesen und zuviel Musik gehört hat, um sich in dieser Welt noch auszukennen? Nein, mir liegt kein Werben, kein freundliches Gesicht, in gewissem Sinn erscheine ich streng. Die Kollegen achten mich, das ist gut so. Mehr verlange ich nicht. Innerlich bin ich mit anderen Dingen beschäftigt. Käme eine Frau, um mich besitzen zu wollen - sie müßte einen Berg erstürmen, sie müßte die Kräfte von Titaniden haben. Wem sollte ich das zumuten? Einmal wäre es fast soweit gekommen. Aber im letzten Augenblick habe ich bemerkt, daß ich verurteilt sein würde, ein Leben zu zweit zu führen. Weiß einer genau, was das heißt? Ich wußte es plötzlich. Soviel Verantwortung kann ich nicht tragen. Ich würde meine Frau enttäuschen, und es gelingt mir ganz gut, allein zu sein. Nein, ich bin nicht unzufrieden, nur störrisch, nur besessen von meinen Launen. Aber niemand nimmt einen Schaden daran. Im Büro erscheine ich selten freundlich, aber man kann sich auf mich verlassen. Ich helfe meinen Kollegen, wenn sie einmal früher nach Hause wollen, um auszugehen oder mit der Familie einen schönen Abend zu verbringen. Ich besitze kein Fernsehen, Fernsehbilder fesseln mich nicht; ich lese viel, ich höre Musik bis spät in die Nacht, oh, ich bin gerne allein. Auch in diesem Jahr ist mein Vater wieder in die Schweiz gefahren, um sich für einige Wochen zu erholen. Meine Mutter hält es nicht so lange dort aus. Die Fremde beunruhigt sie. Gerade in Städten, die sie noch nicht gut genug kennt, gerät sie mit der Zeit in immer größere Verstörung. Oft zieht sie sich in ihr Hotelzimmer zurück, um dort die Nachmittage zu verbringen, an denen die Zeit, wie sie sagt, sehr langsam vergeht, viel langsamer als daheim. Erst an den Abenden traut sie sich hinaus. Mein Vater hat dann meist schon weite Spaziergänge gemacht; er ist hier und da stehengeblieben und hat seine Unterhaltungen mit den Einheimischen aufgenommen, durch deren Geschichten ihm der fremde Ort immer vertrauter wird. Meine Mutter möchte davon nichts hören. Sie bestellt sich ein Glas Wein auf ihr Zimmer und beginnt mit ihrer Lektüre. Wenn es dämmert, kleidet sie sich um, kämmt das lange Haar aus, wechselt die Schuhe. Dann wagt sie sich in die Hotelhalle, wo mein Vater sie abholen wird. Sie spricht noch einige Sätze mit dem Empfangschef, aber sie will nur die Zeit überbrücken, bis mein Vater in der Drehtür erscheint. Er lacht, er hat einen schönen Tag verbracht, er ist weit gegangen; meiner Mutter macht das nichts aus. Sie freut sich, wenn sie ihn so lachen sieht. Dann gehen die beiden hinaus; irgendwo werden sie einkehren, um zu essen. Mein Vater wird eine Flasche Wein bestellen, und sie werden sich unterhalten. Sie unterhalten sich gut, obwohl sie schon mehr als vierzig J

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