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Der Fund

Erzählungen und Stücke

Erschienen am 17.09.2001
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446199880
Sprache: Deutsch
Umfang: 328 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 19.2 x 12.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Eine alte Lady findet in ma¶rderischen Krimis Zuflucht vor der Realita¤t des Krieges, ein Einbrecher wa¼nscht sich nichts sehnlicher, als ins Gefa¤ngnis zu kommen, ein Milliona¤r muaY unter der Fuchtel seiner Frau gestohlene Krawatten ins Kaufhaus zura¼ckbringen. Zwa¶lf Erza¤hlungen und zwei Sta¼cke aus dem NachlaaY zeigen Veza Canetti erneut als eine Meisterin des Dialogs und der Charakterisierung. Das Nachwort von Angelika Schedel gibt Auskunft a¼ber das Leben Veza Canettis und die Geschichte ihrer Entdeckung.

Autorenportrait

Veza Canetti, geboren 1897 in Wien, wurde als Jüdin und Sozialistin von den Nazis mit Berufsverbot belegt und flüchtete 1938 mit ihrem Mann Elias Canetti nach England, wo sie 1963 starb.

Leseprobe

Toogoods oder das Licht Im Winter des Jahres 1940 übersiedelten wir aufs Land in das geräumige Haus eines Pastors und seiner hageren Ehefrau. Die Bedingungen waren durchwegs Verbote. Verboten war der Fleischgenuß, der Alkohol, das Rauchen, der Theaterbesuch und der Verkehr mit den Nachbarn. Das Prinzip des pensionierten Geistlichen lautete: wenn das Empire die von Gott Gezeichneten einläßt, und ich sie gar ins Haus nehme, so haben sich mir diese Flüchtlinge für die Großmut Englands dankbar zu erweisen, und sie haben mir möglichst viel Nutzen zu bringen. Denn sie wetzen die Teppiche ab, ziehen den Zug im Abtritt und schauen durchs Fenster. Sie zahlen, das ist richtig, aber was ist Geld, wie eitel ist es, welcher Schein in den Augen eines Dieners Gottes. Morgens in aller Früh wurde Kompost erzeugt. Die beiden Toogoods taten dies auf eine eigene Weise, nämlich auf Zeitungspapier, und trugen diesen Schatz, der ihrem Leib entsprossen, hinunter in den Gemüsegarten, wo sie ihn nach einem Jahr in der Form von Karotten zurückbekamen. Denn sparsam sei der Mensch und vergeude nichts, auch nicht seine Exkremente, dann wird der Herr es ihm lohnen. Und richtig, der Herr lohnte es. Wer hat, dem wird gegeben, und sie hatten. Sie hatten ein großes Haus mit vielen Teppichen und hellen Möbeln, sie hatten feingeschnitzte Truhen und kostbare Altertümer. Und ein Zimmer voll mit Vorräten, alle angekauft knapp ehe der Krieg ausbrach, um ihre alten Knochen aufs beste zu versorgen. Sie hatten und nährten sich redlich. Wir hatten nichts und hungerten. Für diesen Hunger hörten wir salbungsvolle Reden, etwa, daß man im Krieg genügsam leben müsse. Um sich für ihre Worte zu stählen, aßen sie heimlich ihre guten Speisen, und wir bekamen die Karotten, die der Herr ihnen erwachsen ließ. Dafür aber waren sie freundlich. Mit überaus freundlicher Miene häufte uns Frau Pastor den in Wasser gekochten Kohl auf den Teller, dazu gab es Wasserkartoffel, freilich nur eine, denn sie kosteten fast einen Penny das Pfund, wiewohl nicht sie, nicht Frau Pastor, sie hatte eine Quelle, wo sich das Hundert erheblich billiger stellte, diese Kartoffel war freilich säuerlich und mit schwärzlicher Fäulnis durchsetzt, aber da blickte Frau Pastor weg und sprach davon, wie schlecht die Welt, und sie dachte, wie gut sie selbst war, die unserethalben, um unsere Seelen zu retten, diese schwarzen Trümmer aß. Ihr Lächeln glich dem Saccharin, mit dem sie uns die Süßspeise versetzte. Während sie die widerliche Grütze anrichtete, ging der Kopf des Pfarrers mit dem Löffel von der Schüssel in den Teller und zurück mit seines Weibes Löffel in die Schüssel, und er sah aus wie ein Hund, dem man den Zucker nach allen Richtungen zieht, um ihn zu reizen, der Hund wurde immer gieriger, immer gieriger wurde der Priester, und selbst wir waren so verhungert, daß wir Wasserkost und Wassergrütze verzehrten und uns am Ende für das Lunch bedankten. Ich habe nie gelästert, aber wenn Toogood mit ergebenem Blick diese Mahlzeiten einleitete mit: »Go Bless thiss Food to our Health« dann wollte ich keinen Segen auf dieser Kost und lieber keine Kost, als diesen Segen. Leseprobe

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