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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446201330
Sprache: Deutsch
Format (T/L/B): 1.9 x 20.9 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Der polnische Weltbürger und Nobelpreisträger Czeslaw Milosz hat mit seinem ABC eine besondere Autobiographie geschrieben. Aus den Mosaiksteinen von Adam und Eva bis Zentrum und Peripherie erhält man mit der Fülle von Orten und seelischen Zuständen ein faszinierendes Portrait des Dichters.

Autorenportrait

Czeslaw Milosz, 1911 in Vilnius/Litauen geboren, starb 2004 in Krakau. Bei Hanser erschienen die Bücher Das Zeugnis der Poesie (Edition Akzente, 1984), Die Straßen von Wilna (1997), Hündchen am Wegesrand (Kalendergeschichten, 2000), Mein ABC (2002) und DAS und andere Gedichte (2004).

Leseprobe

Adam und Eva Der größte Vorteil der Bibel-Geschichte über unsere Stammeseltern ist der, daß sie unverständlich ist. Denn gewiß spricht sie uns gerade deshalb viel stärker an als irgendwelche rationalen Beweisführungen. Eben aus diesem Grund meinte wohl auch Lew Schestow, man könne sich nur schwer vorstellen, daß sich einige der Schrift nicht mächtige Hirten diesen rätselhaften Mythos ausgedacht hätten, der den Denkern zweier Jahrtausende bereits einiges Kopfzerbrechen bereitet hat. Ein Paradies, in dem es keine Krankheit und keinen Tod gibt - darin zwei restlos glückliche Menschen. Daß sie den verbotenen Apfel vom Baum der Erkenntnis essen, deutet die menschliche Phantasie nur allzu gern als sexuelle Erfüllung, aber John Milton hält sich in seinem Werk Das verlorene Paradies [in der Übersetzung von Hans Heinrich Meier, Reclam, Stuttgart, 1978, 4. Buch, Vers 658ff.] bei seiner eindringlichen Beschreibung der Liebe von Adam und Eva als Teil ihres paradiesischen Daseins an eine andere Tradition:So sprach die Mutter von uns allen, und Mit Blicken, die den Gatten lockend suchen, Unangefochten, in Ergebung sanft Lehnte sie hin auf unsern ersten Vater, Ihn halb umfangend; ihre halbe Brust Traf, nackt und schwellend, durch den goldnen Fluß Der Ungebundnen Flechten, auf die seine.Wofür steht nun aber der Baum der Erkenntnis? Es gibt viele Interpretationen. Da sind etwa die jüdischen Bibelkundigen, die einen verborgenen Sinn aus den hebräischen Texten herauslesen. Wer jedoch unsere Zivilisation beobachtet - mit all ihren Sackgassen, in die sich der Verstand verrannt hat -, der wird aus der Stimme der Schlange die Verlockungen des Rationalismus heraushören. Wieder andere hingegen behaupten, daß mit dem Essen der verbotenen Frucht die Geschichte der Menschheit beginnt, denn vor diesem Genuß lebten Adam und Eva ohne Bewußtsein - ein animalisches Leben. So hatte Satan, die Schlange, mit der Prophezeiung recht, daß ihnen die Augen geöffnet werden. Doch auch der Schöpfer selbst hatte recht, als er sie warnte, sie müßten sterben, wenn sie diese Frucht kosteten. Am häufigsten wird jedoch auf das absolute, bedenkenlose Gottvertrauen verwiesen, das beide besaßen, bevor sie das Verbot überschritten. Die Katastrophe erfolgte dann, als sie Ihn auf das Niveau der von Ihm geschaffenen Wesen herabziehen wollten, und Ihn der Eifersucht bezichtigten. Also war ihre erste Sünde eigentlich ein Akt des Hochmuts. Warum bemerkten sie erst, nachdem sie das Gebot gebrochen hatten, daß sie nackt waren, und warum schämten sie sich dann? Das ist sicher wichtig, aber es ist völlig unverständlich. Man könnte endlos darüber nachgrübeln. Sie waren in die Geschichte, in die Zivilisation eingetreten - aber ist denn die Nacktheit deren Negation? War das der Grund, daß Gott ihnen Kleidung aus Tierfellen nähen mußte? Und warum hatte dieser eine, doch so kurze Moment solche ungeheuren Konsequenzen: nämlich nicht nur ihren eigenen Tod, sondern auch die Transformation der ganzen Natur? Denn auch die Natur war ja vorher unsterblich gewesen. Doch auch das war noch nicht alles, denn eine weitere Folge war ja noch die Erbsünde, die auf jedem Mann und jeder Frau durch unzählige Generationen hindurch lasten sollte. Zum Glück wird in der katholischen Theologie die Erbsünde zu den Geheimnissen des Glaubens gerechnet, und man bemüht sich gar nicht erst zu erklären, wie es kommt, daß wir sie erben. Im tiefsten Inneren unseres Wesens sind wir überzeugt davon, daß wir ewig leben sollten. Wir empfinden unsere Vergänglichkeit und Sterblichkeit als etwas, das uns mit Gewalt aufgezwungen wurde. Nur das Paradies ist aut Leseprobe