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Entfernte Verwandtschaft

Faschismus, Nationalismus, New Deal 1933-1939

Erschienen am 28.02.2005, Auflage: 1/2005
21,50 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446205970
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 2.3 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die Wirtschaftskrise der 30er Jahre erscha¼tterte die USA genauso wie Europa. Doch Roosevelts Wirtschaftsprogramm des New Deal rettete die USA bis in die Kriegswirtschaft, und nach Ende des Krieges erschien Amerika als das leuchtende Gegenbild zum kollabierten Europa. Gerade im New Deal aber entdeckt Wolfgang Schivelbusch nun a¼berraschende Gemeinsamkeiten mit den rechten Ideologien Hitlers und Mussolinis: Roosevelts Beschwa¶rung der nationalen Gemeinschaft etwa oder den konsequenten Einsatz von Propagandatechniken. Schivelbuschs Vergleich zeigt, welche Verfa¼hrungskra¤fte reaktiona¤re Ideen entwickeln, wenn moderne Gesellschaften in die Krise geraten.

Autorenportrait

Wolfgang Schivelbusch, geboren 1941 in Berlin, Historiker, Literaturwissenschaftler und Publizist, lebt nach vielen Jahren in New York wieder in Berlin. 2013 erhielt er den Lessing-Preis der Stadt Hamburg. Bei Hanser erschienen zuletzt: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948 (1995), Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalismus und New Deal. 1933-1939 (2005), Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über die Konsumtion (2015) und Rückzug. Geschichten eines Tabus (2019).

Leseprobe

Die deutsche Modernisierungsbaustelle verband mit der amerikanischen - und beide unterschieden sich darin von der italienischen -, daß sie eine neue Technologie in den Mittelpunkt stellte. Was für die TVA die Elektrifizierung, das war für die Autobahn die Motorisierung. Beide aber waren, seit sie um 1900 in die Zivilisation eingespeist wurden, nicht einfach nur Techniken, sondern Befreiungs- und Erlösungsversprechen. Sie markierten das Ende der zyklopischen ersten Industrierevolution und eröffneten den Prospekt eines vollendeten industriellen Arkadien, in dem Mensch, Natur, Technik und Energie nicht mehr in Widerspruch stünden, sondern zu einer gleichsam neo-saint-simonistischen Synthese fänden. Elektrifizierung und Motorisierung strahlten eine vom 1.Weltkrieg nur kurz unterbrochene und seit 1933 durch die neue Rolle des Staates mit neuer Bedeutung aufgeladene Faszination aus. Roosevelt, der mit der TVA auf die elektrische, und Hitler, der mit der Autobahn auf die automobile Karte setzte, ahnten, welche Massenwunschpotentiale sie damit ihren Regimes erschlossen. Wie alle neuen Produkte und Moden üben neue technische Verfahren und Apparate die größte Faszination in ihrer heroischen Anfangsphase aus, wenn sie als die Erfüllung alter Menschheitsträume Staunen und Bewunderung erregen. Beides stumpft ab und verliert sich, sobald sie massenhaft produziert und konsumiert werden. In Amerika hörte das Auto mit der Motorisierung der zwanziger Jahre auf, Traumobjekt zu sein, und wurde alltäglicher Gebrauchsgegenstand. In Europa, und zumal in den automobilistisch unterentwickelten Ländern Italien und Deutschland, bewahrte es seine futuristische Faszination der Bewegungs- und Geschwindigkeitsmaschine, mit deren Hilfe der Mensch seine natürlichen Grenzen überschreiten und sich technisch potenzieren konnte. Der Europäer benutzte das Auto als Waffe, mit der er sich seine persönliche Freiheit bestätigte bzw. erkämpfte. Er fuhr individualistisch, aggressiv, rasant, rücksichtslos. Kam er nach Amerika, so wunderte er sich, wie gemächlich, konformistisch und passiv die Amerikaner ihre Autos benutzten. Allerdings erkannte er auch, daß dies seinen einfachen Grund in der Masse der Autos, der Verkehrsdichte hatte. Zuweilen sah er sogar eine Verbindung zwischen dem geduldigen Kolonnenfahren der Amerikaner und ihrem politischen Konformismus, oder positiv: der Disziplin und Stabilität ihrer Demokratie. In der Historiographie des »Dritten Reiches« wurde die Autobahn lange als ein Nebenzweig der Aufrüstung eingeordnet. Als >Straßen des Führers< und eines Regimes, dessen Ziel von Anfang an der Krieg war, hatten sie, so wurde messerscharf geschlossen, Teil der Kriegsvorbereitung zu sein. Mit der differenzierenderen Betrachtung des Nationalsozialismus in den vergangenen 30 Jahren entstand auch ein mehrdimensionales Bild des Autobahnprojekts. Es wurde jetzt gesehen als Paradebeispiel für die andere, die >amerikanische< Seite des Regimes, die Massen weniger durch Repression als durch Manipulation und Suggestion an sich zu binden. Die Ideologie der Volksgemeinschaft, so entdeckte eine neue Historikergeneration, fand Anklang, weil sie Brot und Spiele nicht nur versprach, sondern auch lieferte. In dieser neuen Perspektive erscheint das »Dritte Reich« weniger als Gefängnis denn als große Freizeitanlage, errichtet von der Organisation >Kraft durch Freude< und zusammengehalten u.a. durch die Autobahn. >Kraft durch Freude< und Autobahn verband im übrigen das dritte Großprojekt und zweite >Geschenk des Führers< an das Volk, das die Autobahn überhaupt erst sinnvoll machte, der Volkswagen. Mit seiner Produktion wurde >Kraft durch Freude< beauftragt. Daß Autobahnbau und Autobau dann nicht wie geplant Hand in Hand gingen, tat der psychologischen Wirkung nicht nur keinen Abbruch, sondern intensivierte sie eher noch. Denn wäre es wie in Amerika zur zügigen Vollmotorisierung gekommen, das Charisma des Autos hätte sich wie dort schnell veralltäglicht. So aber nahm die Leseprobe