0
24,90 €
(inkl. MwSt.)

Nicht lieferbar

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446206618
Sprache: Deutsch
Umfang: 412 S.
Format (T/L/B): 3.6 x 20.8 x 13.4 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Es beginnt mit einer Liebesgeschichte im modernen Europa und endet mit einer Flucht in eine andere Welt: Als der Erzähler merkt, dass seine verführerische Geliebte Manon noch immer ein Verhältnis mit einem berühmten Maler hat, nimmt er einen Auftrag an, der ihn nach Indien führt, um den Palast eines Königs in ein modernes Hotel umzubauen. Die Begegnung mit dieser traumhaften Welt hilft dem Unglücklichen auf neue Gedanken zu kommen - bis ihm Manon in den fernen Palast folgt und ihre Geschichte neu zu beginnen scheint.

Autorenportrait

Autoren-Special

Leseprobe

Anbetung der heiligen Kuh Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell einer heiligen Kuh zu begegnen. Als habe sie es gewußt, erwartete sie mich gleich am Flughafen von Udaipur. Ich trat aus dem niedrigen Gebäude, über den fettigen, wie mit Butter eingeriebenen Marmor der Empfangshalle wandelnd, und da stand sie, ungeachtet meiner vielstündigen Verspätung, und vertrieb sich die Zeit des Wartens, indem sie still und gesammelt an einem Pappkarton kaute. Ihr Fell war von feinstem Hellgrau, gelegentlich schwarz überpudert, wo die Haut sich an Gelenken oder im Nacken faltig staute. Die Ohren waren groß, bewegten sich wie rosige Hände beim Fliegenverscheuchen, leichthin zuckend, und hatten an den Spitzen weiße Pinselhärchen. Wie alt war die Kuh? Die großen Augen hatten in ihrer Sanftheit etwas Kindliches. Sie standen enger beieinander als bei einer europäischen Kuh. Der Kopf war schlank und schmal, und die Augen saßen ein wenig schief. Die Kuh glotzte nicht - das vorgewölbte europäische Kuhauge, der bedeutungsvolle dramatische Juno-Blick gefällt mir auch, aber hier war, durch das edle Hellgrau vermutlich noch gesteigert, auch etwas von eselhafter Frömmigkeit und Geduld. Schön war der nicht sehr straff gefüllte Zebu-Höcker und das schlabbernde, leere Doppelkinn, das dem Kopf wie ein Jabot oder ein Plastron anhing. Das Euter war jungfräulich klein mit zarten Zitzchen, der Körper knochig, aber nicht ausgemergelt. So stand sie, von niemandem beachtet, zwischen den parkenden, den an- und abfahrenden Autos, die um sie herumfuhren, ohne sie anzuhupen. Während ich auf den angekündigten Fahrer aus Sanchor wartete, von dunkelhäutigen Männern mit nachlässig um den Kopf gewundenen Tüchern und ausdruckslosen Mienen beobachtet, faßte die Kuh unversehens den Entschluß, sich zu bewegen. Ein Ruck ging durch ihren großen Körper. Sie machte, ohne von irgendwem dazu genötigt zu sein, mit gesenktem Hörnerkopf einige staksende Schritte, hob den Kopf dann wieder und sah sich um, ob die Veränderung ihrer Lage etwas Neues in ihrer Umgebung zur Folge habe. Sie war allein dem eigenen Willen unterworfen, aber sie schien das nicht völlig begriffen zu haben. Kein Hirte trieb sie, keine Melkerin forderte von ihr, still zu stehen, niemand war durch sie behindert oder gestört oder versuchte, sie anderswo hinzuschieben. Die Welt, die die Kuh am Flughafen umgab, war geschäftig. Autos rollten heran, Gepäck wurde ausgeladen, die lauernden Turbanträger schlenderten heran und trugen Dienste an; die Kuh aber war für diese Leute unsichtbar, so mußte sie selbst es verstehen. Ich habe ihre Ohren und Augen und den ausdrucksvoll gerundeten Kuhkörper groß genannt und fühle mich etwas hilflos, daß nun kein anderes Attribut zur Stelle sei als immer nur 'groß', aber es muß einem klar sein, daß ein schöneres und angemesseneres Wort als 'groß' für die Kuh nicht zu finden wäre. Das Unprätentiöse, Ruhige, Gesammelte, das Farblose, Allgemeine von 'groß' war genau zutreffend für diese Kuh, die mit ihrem die Autos überragenden Leib und mit den Hörnern, mit denen sie eine Windschutzscheibe hätte einrennen können, ohne Eitelkeit und Selbstdarstellung ihre Größe eher ertrug, als sich ihrer zu freuen. Heu oder Gras oder die Büsche der niedergetrampelten staubigen kleinen Anlage am Flugplatz wären eine bessere Nahrung für sie gewesen als der Pappkarton, der laut seiner Aufschrift Tintenpatronen für Kopiergeräte enthalten hatte und jetzt mit Demut und Geduld und, während die lang bewimperten Augen bescheiden über ihn hinwegblickten, eingespeichelt, zerkaut, zermahlen und heruntergeschluckt wurde. Die Fetzen, die von ihm übrig blieben, baumelten aus dem weichen grau-rosa Maul heraus, als wolle die Kuh vorn am Kopf ein Pendant zum Kuhschwanz schaffen. Auf der Fahrt über Land begegneten wir der Kuh stets aufs neue. Sie stand wie ein Denkmal am Straßenrand und achtete der Autos nicht, die an ihr vorbeisausten. Sie lag mitten auf der Straße, den Kopf von den herankommen ... Leseprobe